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Hamann
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Der Vortrag macht eben so oft die Sache als das Kleid den Mann. Jede Sache ist ein unsichtbarer Embryo, dessen Begriff und Inhalt durch den Vortrag erst gleichsam zur Welt kommen und offenbar werden muss. Daher jener witzige Einfall des weisen Mannes: Rede, dass ich dich sehe.

JGH Über das Spinozabüchlein Friedrich Heinrich Jacobis, 1788

SCHERFLEIN Vorträge

Samstag, 06. November 2010, 20:00 Uhr
Freiherr-vom-Stein-Saal, Bezirksregierung Münster, Domplatz 36, 48143 Münster
Eintritt 12 Euro, Tagesticket 25 Euro



Die Verkörperung des Denkens als Nachahmung des Unsichtbaren
Dr. Sabine Marienberg, Sprachphilosophin
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Funktionen des Bewusstseins" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Hamann hat wie wenige andere den Doppelcharakter der Sprache akzentuiert. Sich in sprachlicher Gestalt zu zeigen, bedeutet zweierlei: einen Gedanken sinnlich wahrnehmbar zu machen – und einer diffusen Empfindung Form zu geben. Sowohl der Gedanke wie die Empfindung werden durch Sprache überhaupt erst erfahrbar. Um einen andern ganz zu verstehen, müsste man "seine Sprache sprechen": seinen gedanklichen Horizont teilen wie auch sein Tun und Erleiden am eigenen Leib erfahren. Sabine Marienberg unternimmt im Ausgang von Hamann einen Ausflug in die aktuelle Qualia-Debatte, in die Diskussion um die unhintergehbaren subjektiven Erlebnisqualitäten und um die Möglichkeit, sie bewusst nachzuvollziehen. Ist das "Wie ist das?" oder "Wie fühlt es sich an?" des Erlebens überhaupt (mit)teilbar? Und wenn schon die „genaueste Lokalität und Individualität“ (Hamann) des Anderen uneinholbar scheint, haben wir wenigstens zu unseren eigenen Gedanken und Empfindungen einen privilegierten Zugang? Welche Rolle spielt dabei die Sprache?


Idealismus und Realismus sind nichts als entia rationis, wächserne Nasen […]. Abstrakter oder konkreter, läuft auf Eins hinaus. Verbalismus oder Figurismus! Dieselbe Übertragung und communicatio idiomatum [Austausch der Eigenschaften] des Geistigen und Materiellen, der Ausdehnung und des Sinns, des Körpers und Gedankens. Allen Sprachen liegt eine allgemeine zum Grunde, Natur, deren Herr, Stifter und Urheber ein Geist ist, der allenthalben und nirgends ist, […] weil er frei ist von allen materiellen Verhältnissen und Eigenschaften, im Bilde, im Worte, aber innerlich.

JGH an Jacobi am 22.4.1787

Hamanns Programm einer uncartesianischen Betrachtung von Sprache
Prof. Dr. Elisabeth Leiss, Sprachwissenschaftlerin
Lehrstuhl für Germanistische Linguistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München

"Vernunft ist Sprache, Logos" – das ist eine der meistzitierten Äußerungen Hamanns. Der Magus hatte eine spezifische Vorstellung über das Verhältnis von Sprache und Kognition, die ihn in Gegnerschaft zu seinem rationalistischen Freund Immanuel Kant brachte, die ihn aber auch den Empirismus ablehnen ließ. Beide Orientierungen weisen der Sprache einen untergeordneten Stellenwert zu, was die Organisation menschlichen Denkens betrifft. Elisabeth Leiss zeigt, dass die Relevanz von Hamanns Philosophie für eine uncartesianische Konzeption von Sprache nicht überschätzt werden kann. Sie stellt dar, wie Gedanken für den Magus ein symbolisches Untersystem des Gesamtsystems Sprache sind. Sprache fasse er – wie im 20. Jahrhundert etwa auch die Philosophen Charles S. Peirce und Ludwig Wittgenstein – als den spezifisch menschlichen Teil von Kognition, der das Denken im strengen Sinn, die Produktion von Gedanken, erst möglich macht. Dabei ist die Sprache an die Welt und an den Körper gebunden. In programmatischer Umkehrung des "Cogito; ergo sum", des "Ich denke, also bin ich" Descartes’ leitet Hamann Sprache und Denken des Menschen aus der konkreten Existenz ab: "Est; ergo cogito". Weil die Welt ist und weil ich in ihr bin, denke und spreche ich – und meine Sätze enthalten Erkenntnis, Wissen von dem, was ist.

   

Nicht nur das ganze Vermögen zu denken beruht auf Sprache [...]: sondern Sprache ist auch der Mittelpunkt des Missverstandes der Vernunft mit ihr selbst
JGH Metakritik über den Purismum der Vernunft


WORTWECHSEL Podiumsgespräch

Ohne Wort, keine Verunft – keine Welt.
Be(-)stimmt Sprache Denken?


Im Wortwechsel gehen die Experten noch einmal gemeinsam und mit dem Publikum der Frage der Magus Tage Münster 2010 nach: Bestimmt Sprache – unsere Muttersprache, Sprache überhaupt – unser Denken, determiniert sie es bzw. beeinflusst sie es in irgendeiner Weise? Oder gibt Sprache einem sprachunabhängigen Denken nur nachträglich Stimme, fasst es in Wörter und eine Struktur, ordnet sie dem "freien" Denken Begriffe und Ausdrücke und logische Form oder: Signifikate, Signifikanten und Grammatik bloß zu?

Prof. Dr. Elisabeth Leiss, Sprachwissenschaftlerin
Sibylle Lewitscharoff, Schriftstellerin
Dr. Sabine Marienberg, Sprachphilosophin
Dr. Jutta Mueller, Neurolinguistin
Dr. Barbara Schmiedtová, Psycholinguistin
Prof. Dr. Jürgen Trabant, Sprachwissenschaftler
Dr. Peter Waterhouse, Schriftsteller

Moderation: Dr. Susanne Schulte, Literaturwissenschaftlerin


PHILOLOG Rezitation
Hannes Hellmann * liest aus Hamanns "Versuch über eine akademische Frage", 1760:
Warum Liebäugeln und Küssen der Liebe zum allgemeinen Wörterbuche dienen


NÄSCHEREY Musik
Annika Treutler, Klavier
Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen (Auszug)

* Martin Feifel musste kurzfristig absagen. Dankenswerterweise springt Hannes Hellmann
für ihn ein.

Bildnachweis:
Sabine Marienberg © Fotostudio Charlottenburg

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